"Sendepause"
Peter Lustig hatte Recht. Nicht mit allem, aber mit Vielem. Er wusste wie wichtig es ist hinter die Dinge zu schauen, auch unbequeme Fragen zu stellen, seinen eigenen Kopf zu behalten, mit Ressourcen und Kräften zu haushalten, die Augen vor wichtigen Themen nicht zu verschließen und eine warme Hose zu tragen. Und am Ende folgte das Unvermeidbare: Abschalten.
Einfach so. Programm vorbei. Hier gibt es nichts mehr zu sehen. Macht euch eure eigenen Gedanken dazu. Oder macht euch selbst auf die Suche. Staunt, bermerkt, tut, interagiert und nehmt wahr. Ihr seid dran. Selbst, aktiv und verantwortlich. Und heute? Glotze aus, Radio an. Radio aus, Handy an. Handy aus, Laptop an. Oder am Besten alles gleichzeitig. Internet, Medien, Social Network, Informationen, Digitale Welt, global verfügbar in Sekunden und direkt in meinem Kopf. Hat mir jemand geschrieben? Was hat die Welt gegessen? Welche Katastrophen sind passiert und mit welchen muss ich in den nächsten Tagen rechnen? War es ein heißer Sommer oder der Anfang vom Ende? Wer trägt die Verantwortung für das ganze Elend, gegen das man sich scheinbar nicht wehren kann? Ich kenne den Namen meiner Nachbarn nicht, aber ich weiß über die Nahost Debatte, das Wetter am Südpol, die Euro Krise, globale Erwärmung, Überschwemmungen und das peinliche Gehampel um Follower, Influencer und Likes Bescheid. Wer bin ich, dass ich das alles wissen muss? Wer bin ich, dass ich zu allem eine Meinung haben muss? Wer bin ich, dass ich nicht selbst entscheiden kann, was mir wichtig ist und womit ich mich beschäftige? Kann ich nicht? Doch, kann ich.
Auf einer Reise während meiner Elternzeit 2018 habe ich keine Nachrichten gelesen - und habe es überlebt. Ich habe nichts verpasst, was für meinen jeweiligen Aufenthaltsort von Bedeutung gewesen wäre. Aber eben nur genau das. Ein windiger Tag am Meer war ein windiger Tag am Meer - und kein Ausläufer eines drohenden Orkantiefs mit verheerender Wirkung. Wie das Wetter morgen wird habe ich jeden darauffolgenden Morgen selbst gesehen. Ich bin mehrere tausend Kilometer gefahren ohne Navigationsgerät - nur mit einer Straßenkarte. Das steht alles drin was man wissen muss, und für den Rest muss man halt selber denken und entscheiden. Der Kopf war frei aufzunehmen, was ich erlebe und nicht verklebt von dem, was die Welt ungefragt mit mir teilen will. Ohne die ständige Berieselung war es irgendwann möglich, selbst den aktuellen Wochentag zu vergessen. Heute, lange wieder zurück im Alltag der Jahre seitdem, sehne ich mich nach dem Gefühl, dass der Tag wie ein offenes Buch vor mir liegt. Das ich selbst entscheide, was morgen auf der Seite von gestern in meinem Tagebuch stehen soll. Das mir keine virtuelle Informationsflut den Blick auf die Realität vor meinen Füßen verstellt. Ohne eine Stimme die mich erinnert, "abzuschalten!" ist das gar nicht so einfach. Oder vielleicht doch?
Peter, wir brauchen Dich!